Mittwoch, 5. November 2014

D21-Digital-Index: Stillstand bei der vernetzten Gesellschaft

Deutschland ist 2014 auf dem Weg in die digitale Gesellschaft im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,1 Indexpunkte vorangekommen, geht aus einer Studie der Initiative D21 hervor. Fast ein Viertel der Deutschen bleibt offline.

Der digitale Wandel ist in Deutschland nach wie vor nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 76,8 Prozent der Bundesbürger ab 14 Jahren nutzen aktuell das Internet, während es 2013 noch 76,5 Prozent waren. Parallel hat sich auch der Gesamtindex, der für den Grad der gesellschaftlichen Digitalisierung der Bevölkerung in ihrer Vielschichtigkeit zwischen Privat- und Arbeitsleben stehen soll, in den vergangenen anderthalb Jahren von 51,2 auf 51,3 Punkten kaum nach oben bewegt. Dies geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Studie von TNS Infratest im Auftrag der Initiative D21 hervor.

Wer hierzulande drin ist, verbringt zwar durchschnittlich drei Stunden online, ist im erweiterten (N)onliner-Atlas nachzulesen. Fast alle Nutzer suchen im Netz nach Inhalten und Informationen. E-Commerce und Videos gucken sind für zwei Drittel der Internetnutzer regelmäßige Praktiken und Cloud-Anwendungen finden verstärkt Zuspruch. Der Anteil der weniger im Netz aktiven Nutzertypen ist 2014 auch leicht gesunken. Dennoch besteht der Studie zufolge nach wie vor eine "strukturelle Benachteiligung" in der Online-Welt. Dieser digitale Graben werde durch Alter, Geschlecht, Bildung und Wohnort bestimmt. Das Schlusslicht digitaler Souveränität bildeten wieder die Senioren im Netz.

Sogar ein "sehr schwach ausgeprägtes Datenbewusstsein" haben die Forscher bei ihren rund 30.000 Telefoninterviews zwischen Februar und April sowie einer vertieften Online-Befragung im Sommer bei den Deutschen ausgemacht, die doch eigentlich als Vorreiter beim Datenschutz gelten. 39 Prozent seien zwar bereit, für eine Sicherheitsgarantie zu bezahlen. Aber 14 Prozent möchten persönliche Informationen gegen einen kostenlosen Service tauschen. Insgesamt seien die Nutzerzahlen bei sozialen Netzwerken und datenschutzhungrigen Anwendungen wie WhatsApp hoch.

Es bestehe so eine "Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit", meinen die Autoren. Diese mache deutlich, dass es noch "massiven Aufklärungsbedarf" gebe und das "digitale Bauchgefühl" verbessert werden müsse. Möglichkeiten zum Selbstschutz würden kaum in Anspruch genommen.

An einzelnen Stellen schimmert Hoffnung durch. Berufstätige etwa verfügen mit 60,2 Punkten über einen höheren Digitalisierungsgrad als der Bundesdurchschnitt. Die Wirtschaft kann zudem auf digital versierten Nachwuchs setzen, denn die 14- bis 25-Jährigen haben mit 69 Punkten einen hohen Indexwert und so wohl entsprechende Ansprüche an ihren künftigen Arbeitsplatz. Gleichzeitig zeigt die Analyse aber auch eine Verschlechterung der Bedingungen für digitales Arbeiten, etwa durch eingeschränkte Internetzugänge im Beruf oder fehlende Weiterbildungen.

Der D21-Digital-Index beruht auf über 200 Faktoren, die in den Themenbereichen Zugang, Nutzungsvielfalt, Kompetenz und Offenheit zusammengefasst werden. Diese werden rechnerisch zu vier Subindizes verdichtet und münden mit unterschiedlicher Gewichtung in der übergreifenden Gesamtmaßzahl. Die Marktforscher überprüfen die "Währung", die auf einer Skala zwischen 0 und der Idealgröße 100 dargestellt wird, nach eigenen Angaben durch Diskussionen mit Experten. Diese haben der Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien mit 40 Prozent die höchste Gewichtung zuerkannt, gefolgt von der Zugangsdimension.

Im Großen und Ganzen attestiert die Untersuchung den Deutschen "Stillstand beim Souveränitätsaufbau" rund um die Welt aus Einsen und Nullen. Der Unterindex Zugang verzeichnet zwar eine leichte Verbesserung von 54 auf 57 Punkte. So ist etwa der Anteil der Smartphone-Besitzer um zwölf Punkte von 41 auf 53 Prozent angestiegen. Andererseits ist die Breitbandnutzung nur von 58,3 auf 59,2 Prozent ganz leicht nach oben gegangen.

Auffällig ist der Rückgang der Kompetenz um 2,5 Indexpunkte auf 48. Dies sei vor dem Hintergrund zu sehen, heißt es erläuternd, dass "die Komplexität der Berichterstattung zu digitalen Themen nach den Datenskandalen und Snowden-Enthüllungen deutlich angestiegen" sei.

Etwa drei Viertel der Deutschen ab 14 Jahren konnten die Begriffe Antivirensoftware, Homepage oder soziale Netzwerke erklären. Sieben von zehn Befragten hatten eine Erläuterung für Apps parat. Mit fast allen übrigen abgefragten Begriffe konnte weniger als die Hälfte der Bundesbürger Genaueres anfangen. Darunter sind im IT-Bereich gängige Wörter wie Cookies, Cloud, LTE ebenso wie Fachbegriffe wie Smart Grid, worunter nur sechs Prozent Details verbinden.

Sechs von zehn Deutschen ab 14 Jahren sehen viele Vorteile für sich in der Internetnutzung und suchen Informationen zuerst im Netz. Auf gleichem Niveau ist die Sorge, dass persönliche Daten im Internet abhanden gehen könnten. Andererseits begegnen einige Menschen der digitalen Welt mit größtmöglicher Zurückhaltung oder gar Ängsten: Ein Fünftel der Bevölkerung versucht, das Internet weitestgehend zu meiden. 16 Prozent haben Angst vorm Surfen oder Mailen, da sie sich ihrer Meinung nach zu wenig mit Computer-, Internet- und Technikthemen auskennen.

Bei den ausgemachten Nutzertypen notieren die Verfasser, dass der Anteil der "digital Souveränen" gegenüber 2013 leicht zugenommen habe. Ins Auge steche der Zuwachs an "smarten Mobilisten", die statt drei jetzt sechs Prozent stellten. Auch der "reflektierte Profi" habe sich um drei Punkte auf 18 Prozent ausgedehnt. "Außenstehende Skeptiker", die zusammen mit den "häuslichen Gelegenheitsnutzern" nach wie vor mit insgesamt 56 Prozent die größten Gruppen bilden, und "vorsichtige Pragmatiker" hätten sich parallel um je drei Prozentpunkte verkleinert. In die Königskategorie der "passionierten Onliner" werden statt 15 nur noch 13 Prozent eingeordnet.

"Wir müssen von einer Angst- zu einer Gestaltungsdebatte kommen", forderte D21-Vizepräsident Robert Wieland anhand der Resultate. Vor allem beim Fördern digitaler Kompetenzen bestehe "kontinuierlicher Handlungsbedarf", unterstrich der TNS-Infratest-Geschäftsführer. Es werde immer schwerer, neue Nutzergruppen zu erschließen. "Nicht wirklich überraschend" fand Brigitte Zypries (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, die Ergebnisse. Sie sollten als Diskussionsgrundlage dienen, "wo wir besser werden können ". Es müsse aber "auch nicht jeder das Internet nutzen, um glücklich zu werden".

Langfassung eines Beitrags für heise online.

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