Rick Falkvinge, Mann der ersten
Stunde der schwedischen Piratpartiet,
hat mit Activizr ein
Werkzeug zum Verwalten sozialer Bewegungen angekündigt. Die Web-basierte
Software werde "im Sommer verfügbar sein" und wie vergleichbare Tools
der Piraten allen Interessierten gemeinfrei angeboten, erklärte der Aktivist am
Freitag auf der Netzkonferenz re:publica in
Berlin. Derzeit habe man erste Beta-Nutzer zum Test des Programms eingeladen.
Activizr erlaube das Anlegen verschiedener Gruppen wie
Mitglieder, Leiter, Aktivisten oder freiwillige Helfer, führte Falkvinge aus.
Anführer schwarmartiger Strukturen, die das Optimum in der vernetzten Welt
darstellten, würden mit der Software befähigt, Erfolge aller Beteiligten leichter
auszumachen und eine "Kultur der Belohnung" zu etablieren. Dies fange
mit einer automatischen Erinnerung an, neue Mitglieder ausdrücklich persönlich
willkommen zu heißen. Darüber hinaus helfe das Werkzeug dabei,
Pressemitteilungen zu schreiben und an voreingestellte Kategorien von
Journalisten per Mausklick zu versenden.
In das Tool eingeflossen sind die Beobachtungen, die
Falkvinge in den vergangenen Jahren zum Schwarm-Management angestellt hat und
die er in seinem in Bälde erscheinenden Buch Swarmwise veröffentlichen wird. Um eine derartige soziale Bewegung starten zu können,
brauche es ein klar greifbares und glaubhaftes Ziel, an dessen Verwirklichung
letztlich jeder mitarbeiten können müsse, plauderte der Schwede vorab aus dem Nähkästchen.
Ein Schwarm trete eigentlich an, um etwas Unmögliches zu verwirklichen. Es sei
daher wichtig, zuerst das vorhandene Potenzial durchzurechnen, statt mit einem
"Bullshit-Bingo" zu starten. Schließlich lege man es darauf an, dass
viele Mitschwimmer ihre Freizeit im Glauben an den gemeinsamen Erfolg opferten.
Im Fall der Piratpartiet sei ihm und seinen Mitgründern klar
gewesen, dass es mehrere Millionen Filesharer in dem skandinavischen Land gebe
und so das Potenzial für die geplante neue politische Kraft vorhanden sein müsste,
blickte Falkvinge zurück. Habe man die Grundidee dann einmal veröffentlicht,
werde sie nach einer solchen Vorarbeit rasch ihren Weg in die sozialen
Netzwerke finden. Anschließend gelte es, das Gerüst für die Bewegung zu bauen
und Hierarchien zu schaffen. Dabei sei es unerlässlich, hinzustrebende
Mitglieder und Sympathisanten in regionale Einheiten aufzuteilen. Dabei könne
es helfen, die "magischen Zahlen" 7, 30 und 150 im Auge zu behalten.
Die beiden letzten entsprächen der Größe eines Klassenzimmers beziehungsweise
eines Stammes. Die kleinere Menge der Gruppenleiter und des Anführers sowie
seines Stellvertreters sei so auszurichten, dass nicht ständig eine Pattsituation
herbeigeführt werde.
Auch im digitalen Zeitalter für unabdingbar hält der
Praktiker regelmäßige Gruppentreffen vor Ort. Im Vordergrund stehen müsse dabei
die Devise, dass es "ein Lächeln und einen Handschlag" für die
Motivation der Mitstreiter bedürfe. Länger als eine Stunde sollten die
Zusammenkünfte nicht dauern. Was bis dahin nicht angesprochen worden sei, könne
auch nicht wirklich wichtig sein.
Habe man diese Voraussetzungen geschaffen, dürfe man den
Schwarm loslassen, ging Falkvinge weiter ins Detail. Für die tägliche Arbeit
habe sich in Ländern wie Schweden oder Finnland bei der Piratenpartei die Regel
etabliert, dass jeder Aktivist im Namen der Vereinigung sprechen könne, sobald
er drei Gruppenmitglieder hinter sich habe. Dieser Ansatz, der auf Vertrauen
beruhe und schnelle Entscheidungen auch im Notfall gewährleiste, sei in den fünf
Jahren seiner Zeit als Parteiführer kein einziges Mal missbraucht worden. Dies
zeige, dass die Bereitschaft im Schwarm groß sei, Verantwortung entsprechend
der eigenen Möglichkeiten zu übernehmen.
Für Konfliktlösungen hat Falkvinge auch mit dem Activizr
noch kein Patentrezept gefunden. Mit Abstimmungen schaffe man nur Verlierer,
beklagte der Oberpirat und fügte an: "Democracy sucks." Auf Nachfrage
erläuterte er, dass er keinesfalls die Demokratie an sich in Frage stellen
wolle. Wer Wahlen durchführe und auf das Herbeiführen von Mehrheiten setze, stoße
aber das unterlegene Lager vor den Kopf. Auch wenn es sich dabei etwa nur um
zwei Prozent der Mitglieder handle, könnten diese doch entscheidend sein für
das Durchbringen des Gesamtprojekts. Es sei daher gegebenenfalls besser,
Streitfragen länger mithilfe von Feedback-Plattformen
wie Liquid Democracy auszudiskutieren und harte Kursentscheidungen zu
vermeiden.
Generell sei Spaß ein entscheidender Faktor, um die Leute
bei der Stange zu halten, kam Falkvinge auf launigere Themen zu sprechen. Es
sei empfehlenswert, Aktivitätsschwellen immer weiter abzusenken. Zum
Werkzeugsets des Schwarms müsse es zudem gehören, die "alten" Medien
für seine Sache zu gewinnen und sie gleichsam in Besitz zu nehmen. "Pwn
the Media", gab der Pirat im Hackerslang als Devise aus. Wer etwa auf den
Mars fliegen wolle, müsse sicherstellen, dass ihn die Presse jedes Mal beim
Anspielen auf dieses Thema als Experten heranziehe und zitiere. Ein spezielles
Team müsse permanent die Nachrichtenlage im Auge behalten und gegebenenfalls spätestens
binnen 40 Minuten über Applikationen wie derzeit noch das Piratenpad eine Presseerklärung erstellen und verteilen.
Die deutschen Piraten lobte der Veteran dafür, dass sie sich
schon auf ihrem ersten Bundesparteitag ein gründlicheres Fundament gegeben hätten
als ihre Pendants in anderen Ländern. Beifällig merkte Falkvinge ferner an,
dass die hiesigen Freibeuter ihr Programm rasch erweitert hätten. Sie seien
keine reinen Protestler und Kämpfer für Internetfreiheiten, sondern hätten den "Lebensstil
einer vernetzten Welt" zu ihrer Grundanschauung erklärt.
Langfassung eines Beitrags für heise online.
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