Der ursprüngliche Regierungsentwurf für das
Bundesmeldegesetz sah in Paragraph 44 aber die Notwendigkeit einer Einwilligung
der von einer einfachen Meldeauskunft betroffenen Personen nur dann vor, wenn
die Informationen "für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels"
verwendet werden sollten. Wenn ein Bürger zu einer anderen Person eine Abfrage
durchführt, hätten die Meldeämter aber nach wie vor auch gemäß der Initiative
des Bundeskabinetts Namen, derzeitige Anschriften, Doktorgrad sowie die mögliche
Tatsache eines Ablebens ohne Wissen und Erlaubnis des Betroffenen herausgeben dürfen.
Selbst eine Nutzungsmöglichkeit für allgemeine "gewerbliche Zwecke"
war vorgesehen.
Uhl spricht trotzdem von einer "glaubhaften
Versicherung" von "Fachleuten aus den Einwohnermeldeämtern",
dass bei der geplanten Opt-in-Regelung jede einzelne Bürgerabfrage gesondert hätte
geprüft werden müssen. Die "Massen von Daten für die Werbewirtschaft"
kämen zudem nicht von den Meldebehörden, da dort jede einfache Meldeauskunft
mit rund zehn Euro zu Buche schlage. "Jeder Adresshändler wäre pleite,
wenn er diesen Weg beschreiten würde", betonte der Christsoziale. "Die
Menschen geben ihre Anschrift und ihre Namen massenhaft her, hunderttausendfach
für Preisausschreiben, bei Rabattsystemen, und sie denken sich überhaupt nichts
dabei." So entstünden Adresssammlungen völlig kostenlos ohne jedes Einwohnermeldeamt
und ohne Einwilligung und Widerspruchslösung. Uhl hält daher auch eine Zustimmung
des Bundesrats für möglich, über den die Opposition den Bundestagsbeschluss rückgängig
machen will.
Der Vorsitzende des Innenausschusses des Parlaments, Wolfgang
Bosbach (CDU), räumte dagegen gegenüber der "Welt" ein, dass den Politikern die überzeugende
Begründung der Rechtsänderung mit der schier unbeschränkten Weitergabe der
Stammdaten auch an Werber und Adresshändler bislang nicht gelungen sei. Der
SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz bezeichnete die mit deutlicher Verspätung
eingesetzte öffentliche Aufregung als völlig berechtigt. Die Opposition hätte
ihre Bedenken gegen die schwarz-gelben Änderungen im Bundestag lautstärker
formulieren und etwas eine namentliche Abstimmung beantragen müssen.
Gisela Piltz, innenpolitische Sprecherin der
FDP-Bundestagsfraktion, zeigte sich offen für Korrekturen. Die Liberale lud die
Union ein, möglichst rasch zur Einwilligungslösung zurückzukommen. Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger setzt wie andere
Regierungsmitglieder auf Nachbesserungen durch den Bundesrat. Den
Opt-in-Ansatz halte sie für den richtigen Weg, sagte die FDP-Politikerin der
"Passauer Neuen Presse".
Auch aus Brüssel bläst den deutschen Parlamentariern
Gegenwind ins Gesicht. EU-Justizkommissarin Viviane Reding verwies gegenüber
der dpa auf ihre Überraschung, "dass einige deutsche Politiker die
Profitinteressen von hiesigen Werbeunternehmen vor das Grundrecht der Bürger
auf Datenschutz stellen". Die Luxemburgerin warnte vor unüberschaubaren
Folgen: "Wie will der Staat glaubhaft von Unternehmen wie Facebook und
Google verlangen, dass sie sich an strenge Datenschutzauflagen halten, während
er selbst einen Ausverkauf des Datenschutzes an die Privatwirtschaft betreibt?"
Das Meldegesetz widerspreche dem Geist der europäischen Datenschutzregeln.
Die Gesellschaft für Informatik (GI) appellierte an die
Bundesregierung und die Länderkammer, das Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung
zu verhindern. Es könne nicht angehen, dass der Staat die Daten seiner Bürger
an kommerzielle Verwerter verkauft. "Wir fordern darüber hinaus, dass auch
über die bislang geltende Widerspruchsregelung nachgedacht wird",
unterstrich GI-Präsident Oliver Günther. Auf die vom Staat gesammelten Daten
sollten prinzipiell nur staatliche Stellen Zugriff haben. Rainer Wendt von der
Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), der sonst kein Freund einer
"Datenhysterie" unter der Bevölkerung ist, sprach von einem Skandal,
dass die Regierungsfraktionen die berechtigten Interessen der Bürger den Wünschen
der Adresshändler geopfert hätten.
Der Geschäftsführer des Hightech-Verbands Bitkom, Bernhard
Rohleder, geht nicht zuletzt anhand einer umstrittenen Denial-of-Service-Attacke gegen den Bundestagsserver davon aus, dass
das Meldegesetz – wie ACTA – durch den "Druck der Straße" gekippt
wird. Die Zeiten sind vorbei, in denen einschlägige Gesetzesvorhaben im
Hauruck-Verfahren durchs Parlament getrieben werden könnten. Solche Projekte müssten
mit der Öffentlichkeit diskutiert, transparent gemacht und im Dialog zwischen
Politik und Bürgern vermittelt werden. Erstaunlich sei aber, dass der
Bundestagsbeschluss "auch von jenen scharf kritisiert wird, die in ihrem
eigenen Verantwortungsbereich zum Beispiel in den Bundesländern seit Jahren
kritiklos ähnliche Verfahren praktizieren". Letztlich könne es im
Interesse der Verbraucher sein, von Herstellern, Händlern und Dienstleistern
Informationen zu erhalten. In einer repräsentativen Bitkom-Umfrage hätten 61
Prozent der Befragten erklärt, Werbung erhalten zu wollen.
Langfassung eines Beitrags für heise online.
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