Montag, 15. April 2013

Streit um beschleunigten Ausbau der Stromnetze


Der Ökonom Lorenz Jarass hat bei einer Anhörung im Bundestag am Mittwoch das geplante Gesetz (PDF-Datei) zum beschleunigten Ausbau der Stromnetze scharf kritisiert. In dem Entwurf heiße es, dass nicht nur der im Norden erzeugte Strom aus Windanlagen, sondern auch der aus konventionellen Kraftwerken in den Süden der Republik geleitet werden müsse, monierte der Professor der Hochschule RheinMain. Damit werde der lange gehegte Verdacht bestätigt, dass die ganzen vorgesehenen neuen Leitungen gar nicht erforderlich seien, "um die Integration der erneuerbaren Energien sicherzustellen". Vielmehr sollten sie vermeiden helfen, dass etwa ein Kohlekraftwerkbetreiber bei Starkwind seine Einspeisung ins Netz zurückfahren müsse.

"Die ganze Planung berücksichtigt überhaupt nicht die Kosten des Leitungsbaus", wetterte Jarass weiter gegen das Vorhaben. Diese blieben vorrangig an den Stromverbraucher hängen. Dass derzeit nach dem Gesetz für die Erneuerbaren auch die "allerletzte Windspitze" abgenommen werden müsse, widerspreche zudem dem Gebot der wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Ungeklärt sei ferner die Frage, ob etwa ein ostdeutsches Braunkohlekraftwerk bei Starkwind einen Anspruch auf Schadensersatz habe. Insgesamt sei der Bedarfsplan der Bundesnetzagentur "total überdimensioniert".

"Wir brauchen viel mehr Regelungstechnik und einen gut abgestimmten Netzausbau", ergänzte Andreas Kuhlmann vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW. Er plädierte dafür, die hierzulande ausgerufene Energiewende zu "einer europäischen zu machen", um das Großprojekt zu stemmen. Generell machten die Verteilnetzbetreiber "einen guten Job", sodass es bisher nur "einige Ruckeleien" gegeben habe. Das Jahr 2015, in dem in Bayern etwa das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld abgeschaltet werden soll und die umstrittene neue Südthüringen-Leitung gen Süden noch nicht fertig ist, dürfte seiner Ansicht nach "schwierig" werden. Er gehe aber davon aus, dass die Übertragungsnetzbetreiber auch diese Kurve umschiffen könnten.

Boris Schucht, Chef des Berliner Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission, und Rotraud Hänlein von der Deutschen Umwelthilfe waren sich einig, dass die Devise lauten müsse: Nicht mehr Netz bauen als unbedingt nötig. Während die Umweltschützerin aber im Sinne einer Initiative des Bundesrats für mehr Teststrecken mit Erdkabeln warb, bezeichnete Schucht diese als kein Allheilmittel für Umweltverträglichkeit. Machbarkeitsstudien für Thüringen und die Uckermark hätten ergeben, dass die Eingriffe in die Natur dort größer wären als bei Freileitungen. In Ballungszentrum mache die unterirdische, "sehr kostspielige" Leitungsverlegung dagegen "weltweit Schule", nachdem das älteste Erdkabelprojekt in Berlin als Erfolg angesehen werde. Ganz ohne Netzausbau gehe es jedenfalls nicht, da die derzeitige Mitnutzungsmöglichkeit polnischer und tschechischer Netze für Windstrom ihre Grenzen erreicht habe.

Hänlein unterstrich, dass nach den heftigen Bürgerprotesten gegen den Bau eines Konverters im Meerbuscher Stadtteil Osterath zur Anbindung neuer Stromautobahnen "der Schutz des Wohnumfelds sehr viel ernster zu nehmen ist". Christoph Dörnemann vom dortigen Betreiber Amprion räumte ein, dass es bei dem Vorhaben "Kommunikationsfehler" gegeben habe. Oft bestünden bei der Standortwahl aber kaum Alternativen, da sonst die "netztechnische Gleichwertigkeit in Frage gestellt werden" könne. Vergleichbare andere Projekte liefen zudem deutlich besser. Es mache auf jeden Fall keinen Sinn, etwa schon jetzt auch den Emissions- und Artenschutz schon "vorzudiskutieren", wo sich noch gar nicht genau herauskristallisiert habe, welche Verbindungen gebraucht würden.

Umspannwerke müssten nicht "grundstücksscharf feststehen", erläuterte Jochen Homann, Chef der Bundesnetzagentur, die Vorgaben des Bundesbedarfsplans. Es sei möglich, die Anlagen "mit Stichleitungen" einige Kilometer von den eigentlichen Stromautobahnen weg aufzubauen. Die Vorwürfe Jarass' bezeichnete er als "völlig falsch". Niemand baue wegen eines Kohlekraftwerks eine Trasse in den Süden. Wegen fehlender Speichereinheiten seien Formen der konventionellen Energiegewinnung aber noch aufrechtzuerhalten. Insgesamt plädierte der Regulierer für eine rasche Verabschiedung des Gesetzes und eine baldige Koordination der "regionalen Energiewenden" der Bundesländer.

Für das Speichern erneuerbarer Energien gebe es "noch keine optimale Technologie", dämpfte auch Albert Moser von der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Hoffnungen in diese Richtung. Derzeit gebe es nur "Punktspeicherwerke", die nur wenige Stunden an Energie vorhalten könnten. Andere Ansätze seien entweder noch deutlich zu teuer oder in ihrem Wirkungsgrad noch ungenügend. Thermische Kraftwerke seien daher "derzeit die günstigste Flexibilitätslösung".

In der Debatte zu kurz kamen Lex Hartman vom Stromnetzbetreiber Tennet alternative Leitungs- und Erzeugungsverfahren wie die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung  (HGÜ) oder die Offshore-Windgewinnung. Die Niederländer, die hierzulande in Niedersachsen aktiv sind, hätten derzeit in der Nordsee ein 6,2-Gigawatt-Projekt ins Auge gefasst, mit zwei weiteren Anlagen visierten sie insgesamt 8 Gigawatt an. Das Kapital dafür sei vorhanden. Letztlich müsse die Gesellschaft entscheiden, was sie wolle und wie viel Geld sie dafür auszugeben bereit sei.

Langfassung eines Beitrags für heise online.

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