Der Ökonom Lorenz Jarass hat bei einer Anhörung
im Bundestag am Mittwoch das geplante Gesetz (PDF-Datei) zum beschleunigten Ausbau der Stromnetze scharf
kritisiert. In dem Entwurf heiße es, dass nicht nur der im Norden erzeugte
Strom aus Windanlagen, sondern auch der aus konventionellen Kraftwerken in den
Süden der Republik geleitet werden müsse, monierte der Professor der Hochschule
RheinMain. Damit werde der lange gehegte Verdacht bestätigt, dass die ganzen
vorgesehenen neuen Leitungen gar nicht erforderlich seien, "um die
Integration der erneuerbaren Energien sicherzustellen". Vielmehr sollten
sie vermeiden helfen, dass etwa ein Kohlekraftwerkbetreiber bei Starkwind seine
Einspeisung ins Netz zurückfahren müsse.
"Die ganze Planung berücksichtigt überhaupt nicht die
Kosten des Leitungsbaus", wetterte Jarass weiter gegen das Vorhaben. Diese
blieben vorrangig an den Stromverbraucher hängen. Dass derzeit nach dem Gesetz
für die Erneuerbaren auch die "allerletzte Windspitze" abgenommen
werden müsse, widerspreche zudem dem Gebot der wirtschaftlichen Zumutbarkeit.
Ungeklärt sei ferner die Frage, ob etwa ein ostdeutsches Braunkohlekraftwerk
bei Starkwind einen Anspruch auf Schadensersatz habe. Insgesamt sei der
Bedarfsplan der Bundesnetzagentur "total überdimensioniert".
"Wir brauchen viel mehr Regelungstechnik und einen gut
abgestimmten Netzausbau", ergänzte Andreas Kuhlmann vom Bundesverband der
Energie- und Wasserwirtschaft BDEW. Er plädierte
dafür, die hierzulande ausgerufene Energiewende zu "einer europäischen zu
machen", um das Großprojekt zu stemmen. Generell machten die
Verteilnetzbetreiber "einen guten Job", sodass es bisher nur
"einige Ruckeleien" gegeben habe. Das Jahr 2015, in dem in Bayern
etwa das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld abgeschaltet werden soll und die
umstrittene neue Südthüringen-Leitung gen Süden noch nicht fertig ist, dürfte
seiner Ansicht nach "schwierig" werden. Er gehe aber davon aus, dass
die Übertragungsnetzbetreiber auch diese Kurve umschiffen könnten.
Boris Schucht, Chef des Berliner Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz
Transmission, und Rotraud Hänlein von der Deutschen
Umwelthilfe waren sich einig, dass die Devise lauten müsse: Nicht mehr
Netz bauen als unbedingt nötig. Während die Umweltschützerin aber im Sinne
einer Initiative des
Bundesrats für mehr Teststrecken mit Erdkabeln warb, bezeichnete
Schucht diese als kein Allheilmittel für Umweltverträglichkeit.
Machbarkeitsstudien für Thüringen und die Uckermark hätten ergeben, dass die
Eingriffe in die Natur dort größer wären als bei Freileitungen. In
Ballungszentrum mache die unterirdische, "sehr kostspielige"
Leitungsverlegung dagegen "weltweit Schule", nachdem das älteste
Erdkabelprojekt in Berlin als Erfolg angesehen werde. Ganz ohne Netzausbau gehe
es jedenfalls nicht, da die derzeitige Mitnutzungsmöglichkeit polnischer und
tschechischer Netze für Windstrom ihre Grenzen erreicht habe.
Hänlein unterstrich, dass nach den heftigen Bürgerprotesten gegen den Bau eines Konverters im Meerbuscher
Stadtteil Osterath zur Anbindung neuer Stromautobahnen "der Schutz des
Wohnumfelds sehr viel ernster zu nehmen ist". Christoph Dörnemann vom
dortigen Betreiber Amprion räumte ein,
dass es bei dem Vorhaben "Kommunikationsfehler" gegeben habe. Oft
bestünden bei der Standortwahl aber kaum Alternativen, da sonst die
"netztechnische Gleichwertigkeit in Frage gestellt werden" könne.
Vergleichbare andere Projekte liefen zudem deutlich besser. Es mache auf jeden
Fall keinen Sinn, etwa schon jetzt auch den Emissions- und Artenschutz schon
"vorzudiskutieren", wo sich noch gar nicht genau herauskristallisiert
habe, welche Verbindungen gebraucht würden.
Umspannwerke müssten nicht "grundstücksscharf
feststehen", erläuterte Jochen Homann, Chef der Bundesnetzagentur,
die Vorgaben des Bundesbedarfsplans. Es sei möglich, die Anlagen "mit
Stichleitungen" einige Kilometer von den eigentlichen Stromautobahnen weg
aufzubauen. Die Vorwürfe Jarass' bezeichnete er als "völlig falsch".
Niemand baue wegen eines Kohlekraftwerks eine Trasse in den Süden. Wegen
fehlender Speichereinheiten seien Formen der konventionellen Energiegewinnung
aber noch aufrechtzuerhalten. Insgesamt plädierte der Regulierer für eine
rasche Verabschiedung des Gesetzes und eine baldige Koordination der
"regionalen Energiewenden" der Bundesländer.
Für das Speichern erneuerbarer Energien gebe es "noch
keine optimale Technologie", dämpfte auch Albert Moser von der Rheinisch
Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Hoffnungen in diese Richtung. Derzeit
gebe es nur "Punktspeicherwerke", die nur wenige Stunden an Energie
vorhalten könnten. Andere Ansätze seien entweder noch deutlich zu teuer oder in
ihrem Wirkungsgrad noch ungenügend. Thermische Kraftwerke seien daher "derzeit
die günstigste Flexibilitätslösung".
In der Debatte zu kurz kamen Lex Hartman vom
Stromnetzbetreiber Tennet alternative
Leitungs- und Erzeugungsverfahren wie die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) oder die Offshore-Windgewinnung. Die Niederländer, die hierzulande in Niedersachsen
aktiv sind, hätten derzeit in der Nordsee ein 6,2-Gigawatt-Projekt ins Auge
gefasst, mit zwei weiteren Anlagen visierten sie insgesamt 8 Gigawatt an. Das
Kapital dafür sei vorhanden. Letztlich müsse die Gesellschaft entscheiden, was
sie wolle und wie viel Geld sie dafür auszugeben bereit sei.
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