Der frühere Bundesrichter und Abgeordnete Wolfgang Nešković
hat die parlamentarische Überwachung von BND & Co. als völlig ineffektiv
kritisiert. Der Ex-Bundesdatenschützer Peter Schaar beklagte "riesige
kontrollfreie Räume".
Die Rufe nach einer besseren demokratischen Kontrolle des
Bundesnachrichtendiensts (BND) und anderer deutscher Spionagebehörden werden
parallel zur Aufarbeitung des NSA-Skandals im Bundestag immer lauter. Die Überwachung
der Überwacher sei nur "in der Hinsicht effektiv, dass sie optimal
ineffektiv ist", monierte Wolfgang Nešković, Ex-Richter am
Bundesgerichtshof und früheres Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums PKGr des Bundestags, am Dienstag auf einer Tagung zivilgesellschaftlicher Organisationen zu "grund- und
menschenrechtlichen Anforderungen an die Kommunikationsüberwachung" des
BND. "Systemische Missgriffe" rund um die Institution müssten
abgeschafft werden.
Nešković räumte zunächst mit dem Mythos auf, dass das PKGr
die Nachrichtendienste direkt in den Blick nähme. "Wir kontrollieren die
Kontrolltätigkeit der Regierungsaufsicht", berichtete er aus seiner
siebenjährigen Zeit bei dem Gremium. Außen vor blieben schon "60 bis 70
Prozent" des BND-Gesamtmaterials, da diese mit Informationen ausländischer
Geheimdienste verknüpft und damit für die demokratischen Aufpasser tabu seien. Auch
der dehnbare Bereich der "exekutiven Eigenverantwortung" dürfe nicht
einbezogen werden.
Von sich aus müsse der Auslandsgeheimdienst zudem nur über
Vorkommnisse von "besonderer Bedeutung" dem PKGr berichten, führte
der einst für die Linksfraktion im Bundestag sitzende Parteiunabhängige aus. Damit
hätten die Agenten "letztlich freie Auswahl, was sie vorlegen".
Fragerunden verkämen so oft zur reinen "Märchenstunde", wenn nicht
Presseberichte Anhaltspunkte für konkrete Nachforschungen bildeten. Zudem leide
das Gremium an "institutionalisierte Antriebsarmut", da nur die
Mehrheit Untersuchungsverfahren einleiten und Berichte öffentlich machen könne.
Peter Schaar verwies aus seiner früheren Tätigkeit als
Bundesdatenschutzbeauftragter auf "riesige kontrollfreie Räume" beim
BND. Die reine Ausland-Ausland-Überwachung mit sogenannten Transit- oder
Routineverkehren dürfe etwa weder von der G10-Kommission des Bundestags geprüft werden, die Abhöranordnungen für hiesige Grundrechtsträger
und Suchbegriffe für die strategische Telekommunikationsaufklärung genehmigt,
noch von der Bundesdatenschutzbehörde. Letzteres habe ihm das
Bundesinnenministerium mit "grenzwertigen Schreiben" verdeutlicht.
So komme es zu dem "strukturellen Problem", dass
"nirgends ein Gesamtbild entsteht", erläuterte Schaar. Die
Kontrollregimes müssten daher verknüpft und eine "quasi-justizielle"
Instanz geschaffen werde, die auch präventiv arbeite und mit einem "Anwalt
der Bürgerrechte" bestückt sei.
Die Staatsrechtler Matthias Bäcker und Christoph Gusy waren
sich einig, dass der BND vor allem bei der Überwachung rein ausländischer
Kommunikation in einem weitgehend rechtsfreien Raum agiere, in dem sogar
Speicher- und Löschfristen Fehlanzeige seien. In diesem Fall sei es "unklar,
welches Gesetz man anwenden muss", zeigte sich Bäcker perplex. Er tue sich
schwer mit der Position der Bundesregierung, dass hier der Schutz des
Fernmeldegeheimnisses nicht greife. Die BND-Tätigkeit bleibe insgesamt "juristisch
so ein bisschen unsichtbar".
Mit seiner abgehobenen "Weltraumtheorie"
habe der BND an seinem Horchposten in Bad Aibling "den Ausstieg aus den
Grundrechten geschafft", ergänzte Gusy. Die These werde zwar "von
niemand außerhalb der Nachrichtendienste selbst vertreten". Der BND erkläre
damit aber die "Erhebung und Verwendung" von Auslandskommunikation für
"grundrechtsfrei". Keine Regeln enthalte das Gesetz für den
Geheimdienst auch für dessen Praxis, Kommunikationsanschlüsse mit
Verbindungsdaten abzugrenzen zu versuchen. In dieses Verfahren seien die
Grundrechtseingriffe schon von vornherein eingeschlossen.
Ob aus den laut Schaar "zaghaften" Initiativen
des Bundeskanzleramts oder der Koalition noch etwas wird, den
BND stärker an die Kandare zu nehmen, erschien vielen Rednern zweifelhaft. Georg
Mascolo, Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung,
machte hier einen Dissens "in der Regierung zwischen verschiedenen
Denkschulen" aus. Der frühere Innen- und jetzige Finanzminister Wolfgang Schäuble
(CDU) etwa führe ein Lager an, wonach die Politik aufpassen müsse, es mit der
parlamentarischen Kontrolle nicht zu übertreiben. Die Dienste seien schon jetzt
verunsichert, zudem würden zu viele Dinge nach außen getragen.
Die andere Seite wolle eine Art
"Parlamentsgeheimdienst" vergleichbar zum Genehmigungsverfahren für
Bundeswehreinsätze, konstatierte Mascolo. Im Bundestag selbst regten sich fast
alle Abgeordnete dagegen parteiübergreifend darüber auf, dass sie über
wesentliche Vorkommnisse rund um die Kooperation zwischen NSA und BND "nicht
oder falsch informiert worden" seien. Er habe auch selten etwas
Eklatanteres erlebt wie die Tatsache, dass das Parlament "so lange in die
Irre geführt worden ist". Ohne den NSA-Untersuchungsausschuss und Presseberichte wäre vieles daraus nicht öffentlich geworden. Aus dem
Skandal werde aber wohl eher die Industrie Konsequenzen ziehen als der
Gesetzgeber.
Thorsten Wetzling, der im Namen der Stiftung Neue Verantwortung Vorschlägefür eine effektivere Geheimdienstkontrolle skizziert hat, befürchtete, dass die geplante Reform zwischen einer "Lizenz zum Lügen" und einer "zum Schlafen" landen werde. Die große Gefahr sei, dass die G10-Kommission nicht für die Auslandsaufklärung zuständig werde. Der zunächst angestrebte bessere Schutz von EU-Bürgern und -Institutionen vor BND-Spähmaßnahmen gelte bei allen Beteiligten inzwischen als "Verhandlungsmasse".
Thorsten Wetzling, der im Namen der Stiftung Neue Verantwortung Vorschlägefür eine effektivere Geheimdienstkontrolle skizziert hat, befürchtete, dass die geplante Reform zwischen einer "Lizenz zum Lügen" und einer "zum Schlafen" landen werde. Die große Gefahr sei, dass die G10-Kommission nicht für die Auslandsaufklärung zuständig werde. Der zunächst angestrebte bessere Schutz von EU-Bürgern und -Institutionen vor BND-Spähmaßnahmen gelte bei allen Beteiligten inzwischen als "Verhandlungsmasse".